Die Faden-Fabrikanten aus China sind zu Besuch und mein Chef, Herr Weber, hat kein Feingefühl für fremde Kulturen.
Nach Wochen der Planung ist es nun soweit. Wir haben unsere chinesischen Geschäftspartner eingeladen. Wir wollen ihnen zeigen, wie der gelieferte Faden verarbeitet wird. Zudem soll ein wichtiger Deal abgeschlossen werden.
Ich habe mich gut vorbereitet. Schliesslich hat man nicht alle Tage Besuch aus China. «China für Dummies»: Seit Wochen habe ich den Ratgeber auf meinem Nachttisch liegen und jeden Abend lese ich eifrig. Ich kenne die Grussformen sowie die Do’s und Don’ts schon auswendig.
Heute ist der grosse Tag. Herr Weber und ich empfangen die Gäste. Und Herr Weber tritt subito ins erste Fettnäpfchen: Er bittet tatsächlich zuerst Herrn Fu’s Sekretärin in den Meetingraum. ‹¡Ay, caramba!› Es ist doch sonnenklar, dass der Ranghöchste zuerst in den Raum gebeten werden soll.
Und dann auch noch das Werbegeschenk. Nette Geste. Eigentlich. Aber ehrlich – wieder so zielsicher in die Sch … gegriffen. Einen Schirm zu schenken bedeutet nämlich, dass man die Geschäftsbeziehungen beenden will. Herr Fu nimmt das Geschenk an und wirft seiner Sekretärin einen vielsagenden Blick zu.
Als ob das nicht schon mehr als genug wäre, steckt Herr Weber beim Lunch auch noch seine Essstäbchen in den Reis! Das macht man in China nur an Beerdigungen!
Nun geht es an den Abschluss des neuen Deals. Ich werde panisch: ‹Die werden uns den Kopf abreissen! Zuerst natürlich dem Herrn Weber, weil er hierarchisch höher steht. Dann bin ich dran. ¡Ay, caramba!›
Ich nehme die Sekretärin von Herrn Fu auf die Seite und entschuldige mich in aller Form für Herrn Webers Fauxpas. Und was macht sie? Sie lacht! «Hach, Mrs Dooright. Sie haben vielleicht Sorgen. Fast jede Woche sind wir in einem anderen Land. Wir haben uns längst an die kulturellen Unterschiede gewöhnt. Seien Sie nicht so kleinlich, das ist doch kein Problem!»
Kein Problem? Kleinlich? Und ich habe mir all diese Mühe gemacht! Gelesen, gegoogelt, gezittert! Diese Aufregung! Und wofür? Für gar nichts. Echt jetzt, China kommt mir spanisch vor.
Was solls. Eigentlich bin ich erleichtert. Schlussendlich sind wir alle nur Menschen. Humor überbrückt vieles. Und mein Ratgeber-Buch werde ich wohl zum Flohmarkt bringen.